Geburtsvorbereitung ist das Herzensthema von Andrea Vierlinger, die seit über 33 Jahren als Hebamme und in der Hebammerei Wiesbaden Frauen durch Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett begleitet – mit viel Herz und einem klaren Blick für das, was wirklich unterstützt. In diesem Interview tauchen wir gemeinsam ein in die Unterschiede zwischen erster und weiterer Schwangerschaft, in kraftvolle Elemente der Geburtsvorbereitung wie Yoga, Atmung, Gebärhaltungen, Körperwahrnehmung, Mindset und Affirmationen – und in die Frage, wie dich Videos und regelmäßiges Üben zu Hause nachhaltig stärken.
Geburtsvorbereitung mit Bauchgefühl
Liebe Andrea, was beschäftigt Erstmamas in der Geburtsvorbereitung am meisten?
Häufig fehlt beim ersten Kind noch das Problembewusstsein und viele Frauen gehen ganz unbedarft an das Thema heran. Das ist auf der einen Seite schön, andererseits würde ich mir wünschen, dass Schwangere sich mehr Zeit für dieses größte Ereignis nehmen. So wie es beispielsweise bei der Vorbereitung der eigenen Hochzeit ganz selbstverständlich ist.
Gleichzeitig spüren viele Frauen aber auch Angst vor dem Ungewissen und Kontrollverlust oder haben eine Fülle an negativen Geburtsgeschichten im Kopf. Mein großer Wunsch ist es, dass Frauen sich mehr Zeit und Aufmerksamkeit für dieses große Lebensereignis nehmen.
Da hast du direkt richtig viele Themen angesprochen. Gehen wir doch ein bisschen auf die Unterschiede ein zwischen der ersten und weiteren Geburten. Was verändert sich dabei?
Es kommt oft Geburtsverarbeitung dazu. Viele wissen dann sehr genau, was sie NICHT mehr möchten. In unserem Kurs „Geburtsvorbereitung für Profis“ wiederholen wir Basiswissen, arbeiten Erlebtes auf und legen den Fokus auf Entspannung, Körperwahrnehmung und Zeit für das neue Kind. Ziel ist, den eigenen Wunsch für die kommende Geburt zu klären und gemeinsam herauszufinden, wie sich dieser umsetzen lässt.
Für mich persönlich ist Yoga die beste Geburtsvorbereitung, gerade wenn Schwangere es über mehrere Wochen oder Monate regelmäßig üben. Siehst du das als Hebamme genauso?
Ja, Yoga ist hervorragend zur Geburtsvorbereitung geeignet, weil die Frauen sehr, sehr gut mit der Atmung arbeiten. Im klassischen Geburtsvorbereitungskurs praktizieren die Schwangeren das im Wochenendkurs einmal. So wird es nicht ausreichend verinnerlicht. Wenn ich aber regelmäßig Yoga praktiziere, ist das ganz anders. Auch die Öffnung des Beckens zum Beispiel, dieses Loslassen, weit machen, hingeben – das sind so wichtige Themen, die durch einmaliges Hören nicht einfach umgesetzt werden können.
Warum sind gerade Videoformate so hilfreich?
Hormonbedingt hat das Gehirn in der Schwangerschaft erwiesenermaßen eine begrenzte Aufnahmekapazität, auf das in Präsenzkursen innerhalb kurzer Zeit viel Neues einprasselt. Videos erlauben Wiederholung im eigenen Tempo – so setzen sich Atemtechniken, Entspannung und Theorie wirklich fest.
Was passiert eigentlich im Geburtsverlauf? Aus Film oder Fernsehen kennt man eigentlich nur eine typische Gebärhaltung, bei der die Frau im Krankenhausbett auf dem Rücken liegt während der Geburt.
Das ist unheimlich schade, weil die meisten Frauen in Bewegung besser gebären: Vierfüßler, Hocken, Badewanne, Gebärhocker. Das Krankenhausbett kann passiv machen. Ein kleiner Teil profitiert in der Endphase von Seitenlage, aber die Mehrheit fühlt sich aufrecht wohler. Wichtig ist, rechtzeitig aktiv zu werden.
Wie wichtig ist die Geburtsbegleitung?
Sehr wichtig! Durch Personalmangel kann im Krankenhaus nicht immer 1:1 betreut werden. Begleiterinnen und Begleiter sollten deswegen motivieren, Positionen vorschlagen, ans Trinken erinnern, Atem anleiten, Entlastung bieten. Am Ende denken Gebärende selten von selbst: „Jetzt aufstehen und Position wechseln“ – sie brauchen sanfte, klare Ermutigung.
Manche beißen unter der Geburt die Zähne zusammen. Wie hilft Tönen?
Offener Kiefer bedeutet gleichzeitig entspannter Beckenboden. Durch Tönen wird das Ausatmen länger und vollständiger, Kiefer, Muttermund und Beckenboden lassen los. Wer das im Yoga übt, kennt die eigene Stimme und überwindet Hemmschwellen. Das wirkt unter der Geburt enorm.
Wie stärke ich mein Mindset?
Ersetze den inneren „Krankenhausfilm“ durch deinen eigenen Geburtsfilm: Was trägst du? Wie bewegst du dich? Wo bist du? Stell dir kraftvolle, warme Bilder vor und das regelmäßig. Ergänze das mit Affirmationen auf Post-its und bringe sie an Spiegeln, in der Küche oder dem Armaturenbrett im Auto an. Wiederholung schafft neue, positive Bahnen im Unterbewusstsein.
Welche alltagsnahen Übungen empfiehlst du in der Schwangerschaft?
Mehrmals täglich kurz innehalten: „Wie sitze ich? Was brauche ich?“ Vielleicht ist es gerade eine Mini-Bewegungspause, ruhiges Atem oder ein kurzer Spaziergang. So lernst du, Signale deines Körpers wieder wahrzunehmen. Das ist die Basis dafür, unter der Geburt aus dem Bauch heraus richtig zu handeln.
Und wenn die ersten Wehen da sind – lieber gleich losfahren?
Nicht unbedingt. Zu Hause ist dein sicherer Ort – vertraut, ruhig, ideal fürs Loslassen. Viele können dort in Ruhe an ihrem Muttermund arbeiten, bis es wirklich Zeit ist. Erinnere dich: Du machst etwas Natürliches. Vertraue deinem Bauchgefühl und der Verbindung zu deinem Baby.
Dein wichtigster Tipp zum Schluss – für alle, ob erstes oder weiteres Kind?
Höre, was dein Kopf über Geburt erzählt, schreibe es auf und wandle es aktiv ins Positive. Übe Atmung, Entspannung, Tönen, Positionen – regelmäßig wie das Lernen einer Sprache. Mit Wiederholung, liebevoller Aufmerksamkeit und einem klaren, stärkenden inneren Film gehst du selbstbewusst in deine Geburt.
Interview im Yogastern Podcast hören
Wenn du das komplette Gespräch von Andrea und mir verfolgen möchtest, dann höre dir unseren Austausch im Yogastern Podcast an, zum Beispiel hier auf YouTube:
Zu Andrea Vierlinger, Hebammerei Wiesbaden
Erfahre mehr über Andrea und ihr umfangreiches Angebot in der Hebammerei Wiesbaden, wo sie Schwangere von Bauch bis Baby begleitet, oder verbinde dich mit ihr auf Instagram.
Gemeinsam haben Andrea und ich all unser Wissen in zwei Videokurse zur Geburtsvorbereitung gesteckt, über die du hier mehr erfährst:
Inspirierende Gespräche im Yogastern Podcast
Im Yogastern Podcast teile ich alle zwei Wochen meine Erfahrungen und mein Wissen rund um Yoga mit dir. Dafür lade ich regelmäßig spannende Persönlichkeiten ein, die ihr Wissen und ihre Perspektiven mit uns teilen. Höre gerne auch in diese inspirierenden Interviews hinein:
- Eltern-Kind-Yoga im Alltag – Interview mit Andrea Helten
- Wie du dein Selbstvertrauen stärkst – Interview mit Isabel Ihm
- Bhakti Yoga: Wie Mantren singen uns verbindet – Interview mit Kirbanu
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Teile gerne mit mir in den Kommentaren, welcher Tipp zur Geburtsvorbereitung besonders wertvoll war.
Alles Liebe und Namaste,
Deine Stefanie
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