Mal ehrlich, wer von euch lädt sie schon gerne ein, die Wut? Die Wut ist eines der unbeliebtesten Gefühle, welches wir gerade als große Menschen gerne unterdrücken. Auch in der Kinderyogastunde klatscht niemand direkt Beifall bei einem Wutausbruch. Sie ist oft laut, zerstörerisch, auffallend und gewiss nicht angenehm. Aber wohin mit diesem Gefühl, welches gerade Kinder noch ganz stark und impulsiv erleben und manchmal leider schon früh als nicht erwünscht kennenlernen? Wegzaubern geht nicht, aber vielleicht können wir diese Wut mit ein paar Yogaübungen in eine richtige Bahn lenken lernen. Ein Wutausbruch ist für uns alle eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Vielleicht entdeckst du im folgenden Artikel etwas für dich, deine Kinder oder deine kleinen Yogis. Lass dich überraschen.
Gefühlschaos und andere unerfüllte Bedürfnisse
Wow! Es gibt kaum ein Thema, welches ich in den letzten Monaten öfter auf allen möglichen Kanälen beobachten konnte. GEFÜHLE sind DAS Thema. Ein so wichtiges, vor allem wenn Kinder einen großen Platz in deinem Alltag einnehmen. Wir wünschen uns womöglich alle, dass wir Kinder in jedweder Lebenssituation bestmöglich begleiten können. Wir wollen Vorbild sein und die bestmögliche Entwicklung unserer kleinen Menschen fördern. Das Paradoxe daran ist, dass wir im Alltag alle froh sind, wenn wir WUT nicht begleiten müssen. „Psst! Was sollen denn die anderen denken. Reiß dich zusammen. Hör auf, so wütend zu sein!“
Kennst du das? Ich hatte gerade heute mindestens einen Wutzwerg zuhause und dachte selbst auch schon „Och nö, muss das jetzt sein?!“ – Ja, muss es. In genau diesem Moment. Wut möchte uns immer auf etwas hinweisen, was manchmal auch nicht sofort klar erkenntlich ist. Sie ist eine Art Wegweiser im Dschungel der unterdrückten Bedürfnisse. Wenn es im Bauch brodelt, der Kopf qualmt und rot wird, die Hände zu Fäusten geballt werden bis die Knöchel weiß sind, ist die Wut schon in vollem Gange. Bis wir selbst so weit sind zu erkennen, was mit uns passiert, hat sie uns schon im Griff. Kindern macht Wut oft Angst, weil sie nicht immer einordnen können, was mit ihnen passiert.
Wofür ist Wut gut?!
Kinder fühlen intensiver und leben ihre Gefühle unverkopfter aus – man könnte es auch authentischer nennen. Es sei denn, sie bekommen es nie vorgelebt. Wenn du es nicht vorgelebt bekommst, kannst du deine Gefühle schlecht deuten und empfindest Wut als etwas sehr Negatives. Sie ist aber ein Ventil und tut gut, wenn sie einmal abgelassen werden konnte. Das Gefühl der Wut hat seine Daseinsberechtigung wie alle anderen kunterbunten Gefühle der Gefühlspalette. Das Gefühl der Wut zeigt dir auf, wo deine Grenzen verletzt, deine eigenen Bedürfnisse unterdrückt werden. Wut zeigt, wann du dich hilflos und allein fühlst.
Warum Kinderyoga bei Wut gut tut?
Im Kinderyoga ist ein wichtiges Thema den eigenen Körper mit all seinen Bedürfnissen kennen zu lernen. Kinder sollen wieder mehr ermutigt werden in sich hinein zu spüren. Dem Körper zu vertrauen und sich genauso anzunehmen, wie man jetzt in genau diesem Moment ist. Also warum sollst du ihnen hier nicht direkt die Plattform bieten, alles kennen zu lernen, was ihnen bei Wut, Angst, Trauer, Enttäuschung etc. weiterhelfen kann. Dabei gilt es zu beachten, dass jedes Kind einzigartig ist und der eine sich mehr auf Neues einlassen kann wie der andere. Jeder braucht etwas anderes und das ist gut so. Mit gezielten Yogaübungen können wir aber lernen, die Wut etwas zu lenken. Das heisst, die Energie, die wie in einem siedenden Teekesselchen Druck aufbaut, so umzuleiten, dass niemand mit Wort oder Tat verletzt wird.
Lasst uns den Kindern eine Plattform geben, sich selbst gesehen und angenommen zu fühlen und sich ausleben zu können. Insbesondere Mädchen bekommen oft noch das Bild eingetrichtert: „So benimmt sich ein Mädchen nicht!“ Aber wie soll sich eine Persönlichkeit entwickeln, wenn sie Teile ihrer selbst unterdrücken muss?! Also ist lauter werden und Bewegung sogar gewünscht. Es wird Raum zum Ausleben gegeben, der auch Spaß macht.
Wie bringe ich es den Kindern yogisch bei – Yogaübungen leicht gemacht
Zuallererst gilt für uns große Menschen, dass wir uns einmal mehr unserer Vorbildfunktion bewusst sein sollten. Wir können keine im Kinderzimmer oder auf dem Supermarktboden allein yogierenden Kinder erwarten, wenn sie bei einem Streit mit dem Geschwisterkind gefühlt ungerecht behandelt wurden. Oder das versprochene Eis nach der Schule nicht bekommen haben, wo erst das für die Mama wichtige Telefonat stattfinden musste. Auch WIR GROSSEN sollten beim Entdecken des unaufgeräumten Zimmers oder der verheimlichten Englischnote nicht mit Heften um uns werfen oder laut anfangen herum zu fluchen – selbst wenn es manchmal schwerfällt! Authentizität und Ehrlichkeit heißen die Zauberwörter, wenn es mal nicht so gut gelingt.
Grundsätzlich kannst du gezielt mit deinen Kindern die Übungen in euren Alltag einbauen, auch wenn kein Wutzwerg geweckt wurde. Je öfter, umso besser. Dann manifestieren sich die Übungen aus dem Kinderyoga, bis sie irgendwann auch in Akutsituationen zusammen von dir begleitet oder auch irgendwann allein abgerufen werden können. Wichtig finde ich, zunächst mit den Kindern über die Gefühle zu sprechen, sie einsortieren zu lernen. Dann können alle in der Situation eher wissen, welches Werkzeug ihnen helfen kann. Nicht jeder kann sofort eine tröstende Umarmung annehmen. Dann vielleicht eher eine der nachfolgenden Übungen bei Wut!
Der Löwe
Dies ist eine meiner allerliebsten Übungen, die ich im Kinderyoga kennenlernen durfte. Wir dürfen laut sein, mutig sein, die Zunge herausstrecken – all das, was doch sonst immer so verpönt ist. Aber eben genau diese Übung hilft Stress abzubauen, wieder zum Lachen zu kommen.
Ausführung: Setze dich aufrecht in einen Fersensitz oder komme in den Vierfüsslerstand (der Po leicht nach hinten absinkend). Du hast vier stolze, große Löwenpranken. Atme tief in den Bauch ein. „Hol erst einmal Luft“ und ausatmend, strecke die Zunge weit heraus, mach die Augen ganz groß, spreize deine Finger, äh Krallen, wiederhole drei bis vier Mal. Gib in einem Yogakurs die Zahl der Wiederholungen gerne an, damit sich die Löwen irgendwann auch wieder bändigen und sich nicht gegenseitig duellieren. Vielleicht möchtet ihr in der Kindhaltung nachspüren. Siehe auch hier: Kinderyogaübung: Der Löwe
Der Vulkan
Stelle dich etwas mehr als hüftbreit mit den Füßen auf, die Handinnenflächen sind zunächst nach vorn gedreht (wie in der Berg Position). Nun beginne langsam auf der Stelle zu wippen, dich ein wenig zu schütteln. Bis Magma im Berg mehr und mehr brodelt. Sie brodelt immer stärker, so dass du mit den Füßen auf den Boden stampfen kannst. Lass so richtig Dampf ab. Wenn du magst, komme auch mal kurz in die Hocke und trommele mit deinen Händen auf den Boden. Trommele solange, bis im Vulkan das Magma immer höher steigt und sie als Lava inklusive dicker weiterer Gesteinsbrocken ausgespuckt, hinauskatapultiert wird. Springe hoch und nimm die Arme hoch in die Luft und streiche anschließend mit deinen Händen den Lavaweg nehmend sanft über deinen Körper bis zu den Füßen.
Hierbei kann durch Schütteln, Stampfen, Trommeln super Energie abgelassen werden und wir kommen anschließend wieder ins Spüren.
Der Holzhacker
Stelle dich etwas mehr als hüftbreit, gegrätscht auf und gib die Hände (aneinander gelegt) nach oben in die Luft. Atme tief ein. Ausatmend wird die Luft ausgestoßen, mit einem lauten HA-Ruf, die Arme nach unten fallend, als wenn du die Axt von oben nach unten in den Holzklotz sausen lässt. Hier wird im wahrsten Sinne des Wortes Dampf abgelassen und tief Luft geholt. Die Holzhacker Übung lässt sich auch vielfältig in Kinderyogageschichten mit Wald, Ferien, Abenteuer, Winter oder, oder, oder einbauen.
Die Atemrakete – 5, 4, 3, 2, 1, …
Die hilft wohl offensichtlich uns allen. „Atme mal tief durch“ kommt nicht von ungefähr als Spruch, wenn wir uns beruhigen sollen. Zähle von 5 oder von 10 (je nach Alter) an rückwärts deinen Atemcountdown. Atme tief in den Bauch ein (sitzend oder liegend), Hände auf den Bauch gelegt und ausatmend lasse die Luft wieder aus dem Körper über die Nase entweichen. Das Nervensystem kann sich über die verlängerte Ausatmung besser beruhigen und regulieren. Spüre anschließend nach „Wie fühlt sich dein Körper nun an?“
Mut zur Wut
Probiere die Übungen mal spielerisch im Yogaalltag, Kindergarten, Grundschule oder im Kinderzimmer aus und schau mal, was sie mit dir machen. Vielleicht hast du Yogawürfel oder Asanakarten, die du zeigen kannst. Oder hänge Bilder von Rakete, Löwe, Holzfäller irgendwo im Zimmer auf, immer präsent. Dann kannst du die dich umgebenden Kinder (und inneren Kinder) feiern und einfach mal ausprobieren lassen, beobachten lassen. Zeige Mut zur Wut und stellt fest, welch wunderbare Auswirkungen so spielerisch wirkende Übungen doch ganzheitlich auf uns haben. Wenn der Wut auch mal Raum gegeben wird, können wir auch Nähe wie eine tröstende, schützende Umarmung, wieder zulassen. Gib Gefühlen Raum und Ton. In diesem Sinne, Mut zur Wut, denn das tut gut.
Ich freue mich über ein Feedback, was euch besonders viel Spaß gemacht hat oder dann auch als Werkzeug mit in euer Gepäck wandert.
Alles Liebe,
deine Biene
Sabine gehört zum Yogastern-Blog-Team und unterstützt Stefanie in der Yogastern Akademie als Co-Referentin für die 100h Kinderyoga & Teenyogalehrer Weiterbildung. Auf dem Yogasternblog findest du in der Kategorie „Kinderyoga und Teenyoga“ weitere Inspirationen von Sabine rund um das Thema Yoga für Kinder, Jugendliche und Familien:
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