Wenn ein Kind in sehr jungen Jahren folgende Sätze hört „Dafür bist du noch zu klein“ oder „Das kannst du noch nicht“ trifft das die Kinderseele mitten ins Herz. Die Motivation erstarrt förmlich und die eigene Fähigkeit sich als ein starkes, kreatives und schöpferisches Individuum zu sehen sinkt auf null.
Die Gastautorin Eva Nowaczek schildert ihre eigenen Erfahrungen:
Auch mir ging das als Kind so – ich konnte nichts, störte nur die anderen und bekam recht schnell den Stempel „ADS“ auf die Stirn geknallt. Als meine Mutter sich weigerte mich zu Arzt zu bringen – wofür ich ihr heute sehr dankbar bin – stach ich doch immer und immer wieder aus der Gruppe hervor. Mein großer Drang nach Bewegung war unermüdlich, mein Wissensdurst riesig und meine Begeisterungsfähigkeit enorm, so dass meine Mutter mich zu folgenden Freizeitaktivitäten angemeldet hatte: Ballett, Judo, Fußball und Klarinettenunterricht. Für sie war klar, ich bin eben ein aufgewecktes Kind und brauche viel Bewegung – Punkt. Doch die schulischen Probleme blieben und so begann das Drama, welches viele Kinder heute auch durchleben.
Die Schulzeit glich einer Berg- und Talfahrt – mal ging es gut und mal eben nicht. Sport, Kunst und Musik waren die einzigen Fächer, in denen ich mich nicht fühlte als wäre ich verkehrt. Nach der Grundschule reichte es laut den Aussagen der Lehrer, nur für die Hauptschule. Mit Ach und Krach dann auch diesen Weg beschritten und mit viel Mühe und Not die Realschule geschafft.
Die Ausbildung zur Erzieherin kam da gelegen, da ich meine Fähigkeiten wie Kreativität, die Liebe zum Sport und Musik gut einbringen konnte. Für mich schien diese Form der Arbeit leicht von der Hand zu gehen, da ich mit Kindern sehr gut zurechtkam. Nach mehreren Jahren Praxiserfahrung wurde auch mir als Pädagogin klar, dass die Auffälligkeiten drastisch nach oben gingen. Irgendwie kannte ich das selbst von meiner Kindheit und der Begriff „ADS“ wurde auf einmal allgegenwärtig.
Kinderyoga für mehr Entspannung
Nach zahlreichen Weiterbildungen war mir leider immer noch nicht klar, wieso sich manche Kinder völlig danebenbenommen haben. Diese unbändige Energie und ständige Gier nach Aufmerksamkeit zerrte so sehr an meinen Ressourcen, so dass ich mit 22 Jahren das erste Mal einen Yogakurs besuchte. Ich war danach so entspannt und wäre am liebsten im Yogastudio liegen geblieben, um dort zu schlafen. Nach mehreren Kursen stand für mich fest, dass ich eine Ausbildung machen werde. Gesagt, getan…und so fuhr ich nach Heidelberg zu Thomas Bannenberg und absolvierte 2007 meine erste Yogaausbildung.
Die ersten Stunden fanden in einer Kita statt und waren als freiwilliges Angebot für die Kinder zugänglich. Leider änderte sich nur bedingt was und so suchte ich weiter nach Antworten. Auch im Kinderturnen, dass ich über 12 Jahre ehrenamtlich im Verein geleitet habe, gab es immer häufiger Kinder, die offensichtlich viele Bewegungsabläufe nicht konnten und völlig überfordert schienen.
Meine Bekanntschaft mit sensomotorischer Integration
Erst 12 Jahre später besuchte ich gemeinsam mit einer Kindergartenmutter einen Vortrag über sensomotorische Integration. An dieser Stelle muss ich ehrlich sagen, dass ich das als Pädagogin noch nie vorher gehört habe. Als Sabine Mönnich mit ihrem Vortrag begann, stand für mich fest- ich muss diese Frau kennen lernen. Ich bat sie um einen Termin und eine Woche später saß ich bei ihr in Reutlingen im Büro. Es war das erste Mal, das mir jemand erklären konnte, welche Ursachen dafür verantwortlich waren, bzw. sein könnten und wie all die Probleme ganz natürlich aufzulösen sind.
Ein gezieltes Bewegungsprogramm das auf das einzelne Kind abgestimmt und an seiner Entwicklung orientierte war. Für mich klang das wie Musik in meinen Ohren – schließlich war ich ja selbst als Kind stigmatisiert worden. Nach dieser wunderbaren Erkenntnis absolvierte ich auch diese Ausbildung… und fing bei mir selbst an zu üben.
Schon nach den ersten Wochen fühlte ich mich wesentlich ruhiger, fokussierter und konzentrierter. An dieser Stelle möchte ich kurz erwähnen, dass ich unter einer sehr starken Leserechtschreibschwäche litt, sowie unter Ängsten im tiefen Wasser und in der Höhe. Nach mehreren Wochen konnte ich auch vor Personen sprechen ohne hoch rot zu werden oder zu stottern. Es war so magisch – endlich fühlte ich mich nicht „dumm“- so wurde ich immer wieder von meinem Bruder betitelt, wenn ich was nicht verstanden habe oder länger lernen musste. All die unangenehmen Situationen, in denen ich mich immer gehemmt fühlte waren plötzlich kein Thema mehr.
Der Herzensweg in die Selbstständigkeit
Mit dieser Erfahrung und mit so viel Wissen kündigte ich meinen Job als Einrichtungsleitung einer 4-gruppigen Kita und machte mich selbstständig. Ja, ihr habt richtig gelesen – in der Zeit zuvor machte ich auch meinen Abschluss zur Fachwirtin und fing auch später das Apnoetauchen an.
Vor meiner Entscheidung mich neu zu orientieren unterrichtete ich schon paar Yoga-Kurse, wollte aber diesen Wissensschatz nicht für mich behalten. So fing ich also auch mit Weiterbildungen für Erzieherinnen an und ermögliche heute allen einen Zugang zu einem Wissen, was meiner Meinung nach jeder braucht der mit Kindern arbeitet.
Kinderyoga unterrichten
Meine Kurse änderte ich leicht ab. Denn ich wusste, dass Kinder mit erhöhtem Bewegungsdrang nie 5 min. Entspannung durchhalten werden und dabei eher die Lust verlieren. Mein Fokus heute liegt in einer Mischung aus beiden Bereichen – mit großem Erfolg. Ich fing mit 6 Kindern an und unterrichte heute zwischen 45-60 Kinder in der Woche. Mein persönliches kleines Erfolgserlebnis
In der Sensomotorik habe ich gelernt, dass ein stabiles Gleichgewicht fundamental ist und wir da beginnen müssen. Auch bestimmte Bewegungsabläufe oder Yogahaltungen sind nicht für alle Kinder gleichermaßen leistbar, da sogenannte frühkindliche Reflexe oft das Verhalten, die Bewegungen und die Wahrnehmung sprichwörtlich blockieren.
Vielleicht hast du das auch schon mal erlebt, dass viele Kinder nicht auf einem Bein hüpfen können oder sich in Bauchlage schwer tun. Ja das sind keine Kinder, die nur verweigern oder gern Quatsch machen – diese Kinder lernen zu kompensieren, wenn sie merken, dass sie etwas nicht können.
Rasende Jungs
Speziell die Jungs fallen durch schnelles Rennen oder sich auf den Boden werfen auf. Das sind Beobachtungen, die uns Auskunft geben, wie das kindliche Hirn arbeitet, welche Hirnreifestadien vielleicht nicht lange durchlaufen worden sind und wo sie gezielte Bewegungen brauchen, um das unerwünschte Verhalten abzulegen.
Die motorische Entwicklung der Kinder
Die Bewegungen orientierten sich an der menschlichen Evolution und der Hemmung von persistierenden frühkindlichen Reflexen und können jedes Kind individuell unterstützen. Neue oder bisher schwache ausgeprägte Hirnverbindungen werden gestärkt, neugebildet und das Kind kann stressfreier lernen und sich entfalten. Fähig- und Fertigkeiten entwickeln sich so weiter wie Mutter Natur es für uns vorgesehen hat.
Ihr fragt euch bestimmt was das für Ursachen sein könnten?!
Mögliche Ursachen
Alle Ursachen hier aufzuzählen würde den Rahmen sprengen. Daher die wichtigsten kurz angesprochen.
- Kinder haben immer weniger Bewegungsanlässe oder Möglichkeiten. Schon in der Babyschale liegen sie nur zusammengedrückt und verharren darin über mehrere Stunden.
- Kinderzimmer gleichen eher einem Verkaufsraum eines Großhändlers für Spielzeug.
- SPIELEN gilt als nebensächlich oder nur noch an der Konsole als COOL.
- Zuwendung im Zeitalter von Smartphones gibt’s es nur noch wenig.
- Die freie Zeit in der Kindheit wird mit zahlreichen Aktivitäten verplant. Das Kind muss schließlich gefördert werden.
- Grundbedürfnisse nach Liebe, Zuwendung und Aufmerksamkeit verlieren an Bedeutung.
- Die Aufnahme von guten Nährstoffen über Lebensmittel ist zu aufwendig und alle wollen nur noch mithalten.
- Gesundheitliche Aspekte (Gene & Erkrankungen), Verlauf von Schwangerschaften und die eigene Prägung sind weitere Bereiche die Einfluss auf die frühkindliche Entwicklung nehmen.
Leider reagieren wir und auch viele Erwachsene da unwissend und nicht ideal, sondern sagen dem Kind indirekt, dass es nicht in die Norm gehört, unnötig stört und viele Dinge nicht kann. Damit blockieren sie es vielleicht noch mehr.
Aus diesem Grund möchte ich das Wissen teilen und Interessierten, Pädagogen und Yogalehrerinnen durch Workshops und Ausbildungen für das Thema sensibilisieren. Es ist für mich der Schlüssel zur stressfreien Entwicklung gewesen, die ich mir als Kind ganz dringend gewünscht hätte.
Mit diesem Wissen können wir Yoga- und besonders Kinderyoga auf eine ganz feine Ebene bringen, Kindern so mehr helfen und den Anklang finden, den wir uns alle im Bereich so sehr wünschen.
Über die Autorin Eva Nowaczek
Ich heiße Eva Nowaczek und bin 36 Jahre jung. Zusammen mit meinem Freund und Hund lebe ich in Nagold im Nordschwarzwald. Dort arbeite ich überwiegend als Yogalehrerin, Trainerin oder als Teilzeiterzieherin.
Zusammen mit einer Freundin leite ich ein Studio und unterrichte bis zu 8 Kurse in der Woche .
Ich bin seit über 16 Jahren staatl. anerkannte Erzieherin. 2010 habe ich eine Ausbildung zur Fachwirtin für Organisation und Führung im Sozialwesen gemacht. Seit 2016 bin ich Trainerin für sensomotorische Integration nach LIGHT EIGHT® und mache zurzeit eine Ausbildung zur Resilienztrainerin (Kinder).
Ich danke Stefanie von Herzen – Danke, dass ich meine Geschichte mit euch teilen darf.
Vielen lieben Dank, liebe Eva, für deinen tollen Gastartikel!
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Hallo, liebe Eva
Ich bin ebenfalls Erzieherin und Yogi sowie angehende Yoga-Lehrerin für Kinder. Danke für den augenöffnenden Artikel. Ich habe schon etwas zu sensomotorischer Entwicklung gehört bzw. gelesen. Dass und wie du das mit Yoga verbindest, finde ich echt großartig. Genau wie du sagst: immer mehr Kinder sind „auffällig“, irgendwas „stimmt nicht“ – und oft wissen wir gar nicht genau, was es ist. Einfach die von dir angesprochende Offenheit und Wachheit für solche Kinder können ihnen und auch uns im Umgang mit ihnen schon helfen. Und dann noch die kleinen Tipps, wie das mit dem Yoga zu verbinden ist. Hab ganz vielen Dank dafür!